Genregrenzen sind durchlässiger denn je, und aus fast allem wird ein Genre oder Subgenre gemacht. DJ-Sets dürfen in die Breite gehen, ein Set darf überraschen. Kein starres Festhalten an einem Genre oder gar Subgenre mehr – ein echter Segen für jeden Musikliebhaber und DJ. Die totale Freiheit!
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Dramaturgie
Also alles love, peace and happiness, richtig? Ganz so einfach ist es nicht. Ich für meinen Teil möchte musikalisch auf eine Reise mitgenommen werden - und die sollte vorne anfangen und hinten enden. Sie darf und sie soll mich auch mal überraschen, einfach nicht ständig - sonst ist es keine Überraschung mehr.
Eine Clubnacht ist wie ein gutes Menü: Apero, Vorspeise, Hauptgang, Dessert, Kaffee oder vielleicht ein “Digestivo”. Ein süsser Touch im Hauptgang oder eine herbe Note im Dessert? Spannend! Aber grüne Bohnen mit Schokopudding in jedem Gang? Nein danke.
Eine Nacht, die von 22 bis 4 Uhr dauert, verlangt nach gefühlter Struktur. Musikalisch übersetzt: Intro, Maintime, Peaktime, Deeptime, Downtime. Wobei jeder Akt seine eigene Dramaturgie hat (jep, wie im Theater) und am Ende der Nacht ein Gesamtbild entstehen sollte, das die Summe seiner Teile übertrifft. Egal ob ein DJ spielt oder vier.
Es ist eine Kunst, einen Akt zu gestalten, und eine noch grössere, eine ganze Nacht musikalisch auf- und abzubauen – alleine oder eben gemeinsam.
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Das Intro als Beispiel
Das Intro setzt den Ton für den Abend. Wenn du um 22 Uhr mit Peak-Time-Tracks bei 100 dB loslegst, während gerade einmal das Barpersonal da ist, machst du etwas falsch. Ein Intro baut eine Stimmung auf - langsam, mit Gefühl. Vom Tempo her, vom Style her und von der Lautstärke her. Egal, welches Genre.
Spielst du Drum & Bass? Fang bei 80 dB an, vielleicht mit etwas Jazzigem. Niemand will beim losfahren des Zuges gleich ein Schleudertrauma erleben. Lass die Menschen ankommen, lass den Abend ankommen und denk an den nächsten DJ. Ego zurückschrauben.
Das Intro ist die Basis, auf der du aufbaust. Tempo und Intensität steigern sich nach und nach. Auch wenn zu Beginn nur wenige Gäste da sind, überträgt sich die Stimmung auf jeden Neuankömmling. Der erste Gast spürt die Vibes des Personals, der zweite nimmt die Energie des ersten auf, der dritte spürt beide - die nächsten Gäste, na, du weisst schon.
Und überhaupt: Weshalb ballerst du Peaktime-Material um 22:30 bei 100 dB raus, wenn kaum jemand da ist? Wohin willst du die Leute später dann noch führen? Housebau (siehst du, was ich da getan habe?) braucht ein solides Fundament. Das wussten schon die Römer.
Von Genrewechseln im Set
Genrewechsel sind fantastisch - und manchmal können sie abrupt genau richtig sein. Aber das muss gut dosiert und gefühlt sein. Meist ist eine Brücke sinnvoller, um eine Geschichte zu erzählen, als ständige „Hauruck“-Übungen. Es geht dabei nicht nur ums technische Mixen von Tracks, sondern ums Verbinden von Genres, wie bei einem Farbfächer mit sanften Übergängen. Du möchtest von rot nach grün? Dann macht ein Farbverlauf mehr Sinn als ein plötzlicher Sprung.
Beispiel: Dein Set beginnt jazzig, deep, dann kommen die ersten Vocals rein, später wird es elektronischer und das Tempo zieht an. So entsteht ein harmonischer Flow. Wenn du jedoch wild springst – erst Techno, dann Vocal House, plötzlich Afro House und dann wieder ein jazziger Track – rettet selbst die beste Trackwahl dein Set nicht mehr.
Die Reihenfolge ist entscheidend. Sie ist dein Live-Song-Arrangement, wie beim Kreieren eines Tracks. Es soll ein Flow entstehen. Eine grosse Welle aus lauter kleinen Wellen.
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Outro
Ein DJ-Set soll das Publikum mitnehmen, es an Orte führen, die es vielleicht noch nicht kennt, oder Vertrautes neu entdecken lässt. Ein Zug, der ständig rüttelt, mag kurz aufregend sein, aber ziemlich schnell braucht das Publikum dann den sechsten Gin Tonic oder aber ein Aspirin - und du DJ, musst dich nicht wundern, wenn die Gäste ihre Jacken aus der Garderobe holen, ohne das sie genau wissen warum. Die Musik war ja gut, aber Mixen heisst Können – nicht nur technisch, sondern eben auch in der Dramaturgie.
Genres sind keine Grenzen, sondern Möglichkeiten. Sie bieten den Rahmen, in dem du dich kreativ bewegen kannst. Es liegt an dir, diese Möglichkeiten zu erkunden, Übergänge zu schaffen und Geschichten zu erzählen. Ein DJ-Set ist mehr als das dumpfe Aneinanderreihen von Tracks. Es ist mehr als das Spielen dessen, was die Leute erwarten. Du bist keine Jukebox.
Es ist deine Aufgabe, das zu spielen, was du fühlst, dich selbst in die Waagschale zu werfen und die Musik so zu präsentieren, dass sie die Menschen bewegt.
Body, mind and soul, weisch.
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